Dienstag, 24. August 2010

9288 km im "Rossija"


Mit der Metro geht's von meiner Unterkunft zur Station "Komsomolskaja" am Platz der drei Bahnhöfe. Neben dem Kasaner und dem Leningrader Bahnhof ist dort auch der Jaroslawler Bahnhof angesiedelt, von welchem das Gros der Fernverkehrszüge Richtung Osten abfährt.
Die letzten Stunden vor der Abfahrt vertreibe ich mir in einem Cafe am Jaroslawler Bahnhof bei Schwarztee und Borschtsch. Um kurz vor 21 Uhr wird der Zug am Bahnsteig bereitgestellt, die Schaffnerinnen (2 pro Waggon) schauen sich die Fahrkarten ganz genau an. Das City-Star-Ticket interessiert sie gar nicht, nur die Schlafwagenreservierung ist wichtig und wird gleich einkassiert (bei russischen Fahrkarten wird der Durchschlag aufbewahrt, um zu wissen wann ein Passagier aus dem Zug rausgeschmissen werden muss). Russische Fahrkarten sind eigentlich zweigeteilt, in den Betrag für die Strecke selbst sowie in die Schlafwagenreservierung.

Erste Überraschung: Die Waggons sind kaum zwei Jahre alt, die Moskauer Eisenbahnverwaltung hat die noch aus DDR-Produktion stammenden Waggons der Firma Ammendorf durch Neue aus dem Werk bei Twer ersetzt. In Russland gibt es je nach Region unterschiedliche Eisenbahnverwaltungen (Moskau, Jekaterinburg, Krasnojarsk u.a.), die miteinander auf Langstrecken konkurrieren und das Waggonmaterial stellen. Je nach Bezirk wird dann nur die Lok gewechselt. Der Paradezug der Moskauer Eisenbahnverwaltung ist der Zug Nr. 1 / 2 (Wladiwostok - Moskau bzw. Moskau - Wladiwostok), andere bekannte Züge sind z.B. der "Baikal" von St. Petersburg nach Irkutsk oder der "Wjatka" von Moskau nach Kirow.
Die Betten sind bereits hergerichtet, um 21:35 Moskauer Zeit setzt sich der Zug in Bewegung, Mit im Abteil zwei weitere Herren. Einer ist Waldemar, 72 Jahre alt und aus Finnland. Er fährt zur Gaudi ebenfalls bis Wladiwostok durch, um dort Freunde zu besuchen. Neben fließendem Russisch spricht er etwas Deutsch und Englisch. Der andere Kamerad ist Aleksander, 52jähriger Pensionist und ehemaliger Offizier der russischen Artillerie. Eigentlich Ukrainer, wurde er noch zu Sowjetzeiten nach Swobodny versetzt, einer Stadt zwischen Tschita und Chabarowsk am anderen Ende Russlands. Dort waren im Kalten Krieg Interkontinentalraketen stationiert, und nach einem Besuch bei der Verwandtschaft in Kiew fährt er jetzt wieder heim. Beim Tschernobyl-Unfall 1986 hatte man ihn als Liquidator zu Aufräumarbeiten in den Reaktor geschickt, was ein Grund für seine frühe Pensionierung ist.
Einige andere Touristen sind natürlich auch an Bord. Die meisten steigen in Irkutsk aus, der in Ekaterinburg in unser Abteil gekommene Engländer Michael fährt bis Ulan-Ude. Und alle fahren sie über die Mongolei nach China, nur der Australier Ken macht die harte Tour via Baikalsee und Baikal-Amur-Magistrale nach Sachalin.

Zweimal am Tag gibt's Essen in's Abteil: Morgens ein Paket bestehend aus Teebeutel, Instantkaffee, Waffel, 4 Crackern, Marmelade, Butter, Kondensmilch, 10g Zucker. Mittags dann Reis oder Couscous mit Fleisch sowie zwei Scheiben geräuchertem Fisch mit Zitrone. Abends ist dann Selbstversorgung angesagt, entweder bei einer der Omas auf den Bahnsteigen (der Zug macht mehrmals täglich längere Stops) mit Teigtaschen oder anderer Hausmannskost, oder aber an einem der Kioske, durch den kauf von Instantnudeln. Die werden am Samowar mit Wasser aufgefüllt, schmecken nicht besonders, aber sind billig und sättigend.

Kurz nach Tschita kommt mitten der Nacht ein angetrunkener, nach Bier stinkender Glatzkopf ins Abteil. Er fahre hier etwa 500 km mit und ob wir einen Wodka wollten. Dann legt er sich aber mit der Schaffnerin an, die holt den Zugchef und dieser schickt ihn in den Großraumschlafwagen ("Plazkart" genannt) am Ende des Zuges. Glück gehabt.

Am 18.8. kommt der "Rossija" schließlich kurz vor Sonnenaufgang pünktlich in Wladiwostok an. 9288 km und 146 Stunden sind seit der Abfahrt am Jaroslawler Bahnhof in Moskau vergangen, es ist noch dunkel und nur der 24-Stunden-Supermarkt neben der Leninstatue am Bahnhofsvorplatz hat geöffnet.

Sobald die Internetverbindung hier zuverlässiger ist gibt's einen Nachtrag mit Fotos.

1 Kommentar:

  1. Abgefahren. Wie waren deine Abteilsgenossen, waren die schön schweigsam, wie dus gerne hast?

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