Freitag, 20. August 2010

Moskau



Um kurz nach 9 am Morgen kommt der Schaffner in's Abteil, wir wären gleich in Moskau. Schnell zusammengeräumt, die Bettwäsche abgezogen und aussteigefertig gemacht. Am Kiewer Bahnhof hat es bereits heimelige 32 Grad, es herrscht emsige Betriebsamkeit. Von Smog ist nichts zu sehen: Der Wind hat gedreht und Moskau "freigeblasen". Nach einem Kilometer Fußmarsch zum Hostel bin ich total verschwitzt, schmeiße meine Sachen in die Ecke und verschwinde in ein Cafe zum Frühstück. Cappuccino für 5 Euro und ein Mandelparfait für 4 Euro, dafür aber Klimaanlage. Danach geht's zu Fuß von der Metrostation "Smolenskaja" über den Arbat (die Moskauer Touristenmeile) an der Lenin-Bibliothek vorbei, durch den Alexandergarten an der Kremlmauer zum Roten Platz. Überall ist die Miliz präsent, sei's um wirklich für Sicherheit zu sorgen oder um Touristen um Schmiergeld zu "bitten". In der Buchhandlung "Biblio Globus" an der Lubjanka gibt's den ersten Kontakt mit der russischen Freundlichkeit: Auf Fragen in Englisch wird üblicherweise barsch reagiert, auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt. Will man nichts kaufen (und das Gegenüber kein Geld erbetteln) ist der normale Moskowiter durchaus geduldig beim Erklären des Weges.

Die Moskauer Metro ist total anders als das, was man aus München kennt. Es hängen keine Fahrpläne aus, da sowieso nach spätestens 2 Minuten der nächste Zug einfährt. Man bezahlt pro Fahrt, unabhängig von der Entfernung (beim Kauf einer Zehnerkarte sind das 24 Rubel = ca. 55 ct). Viele Leute können sich das nicht leisten und drängeln sich deswegen hinter den Leuten mit Fahrkarte durch die Sperren an den Zugängen. Miliz und Metrobedienstete sind zwar omnipräsent, halten aber auch gern mal ein Schläfchen in ihrem Aufsichtskammerl. Der Schwarzfahrer hat ja sowieso kein Geld um die Strafe zu bezahlen.
Wer "Metro 2033" von Dmitri Gluchowski gelesen hat, der weiß: Die Moskauer Metro liegt tief unter der Erde, und die Rolltreppen sind lang. Eine sogar 125 Meter (Station "Park Pobedy"), man steht fast 3 Minuten herum, bis man oben oder unten ist. Die Stationen sind teilweise fantastisch verziert (mit Lenin und anderen Propagandaelementen), aber die Namen der Stationen sind nur in kyrillisch angeschrieben, und die Ansagen aus den Lautsprechern ertönen in der Regel beim Öffnen oder Schließen der Türen. "Die nächste Station ist... *WAMM*" Die Netzpläne sind Russisch und Englisch, aber die Wegweiser zu Ausgängen oder anderen Stationen nur auf Russisch. Ganz anders als die japanische Eigenart, alles zehnmal überdeutlich in Japanisch, Koreanisch, Chinesisch und Englisch anzuschreiben.


Erkennbar im Hintergrund: Das russische Außenministerium, sesshaft in einer von Stalins "Sieben Schwestern". Davor der innere Moskauer Stadtring, auf dem trotz 10 Fahrspuren oft Stau ist.

Das Hostel selbst war in Ordnung, wenn auch etwas konfus. Das gebuchte Vierbettzimmer war nicht vorhanden, es gab keine abschließbaren Schränke (wofür hat man ein Laptopschloss), und die mindestens 5 Angestellten (bei insgesamt 18 Betten) saßen den ganzen Tag in der Küche und tranken Bier. Einer von ihnen konnte Deutsch, und der Großteil der Übernachtenden konnte es auch. Von den Sprachkurslern aus Kärnten, die nach einem Monat Omsk noch ein paar Tage in Moskau verbrachten zu den zwei Engländern aus Frankfurt und dem Kirgisen, die mit Wiesbadener Kennzeichen durch Russland und Kasachstan nach Kirgistan fahren. Den Deutschen und seine russische Freundin nicht zu vergessen, die aufgrund der zeitweiligen Schließung der deutschen Botschaft in Moskau in arge Bedrängnis kamen, will Sie doch in Deutshcland studieren und musste auf einen Termin in der Konsularabteilung 3 Monate warten. Einige andere Botschaften zogen ihr Personal aufgrund des Rauches komplett ab - wer kann's verdenken, bei Sichtweiten von 100 m und tränenden Augen nach einer Stunde an der "frischen" Luft. Zum Glück bin ich kein Asthmatiker, aber 23 Jahre Nichtrauchertum sind jetzt wohl für die Katz' gewesen. (Hier gibt's Zigaretten für 9 Rubel pro Schachtel zu kaufen, das ist quasi nix, und der Inhalt hat mit Tabak wohl auch nicht mehr viel zu tun).
Während der normale Moskowiter sich so durch's Leben schlägt, gibt's gerade in Moskau viele Neureiche, die diesen Reichtum auch zeigen. Über und über mit Klunkern behängte Damen, in feinsten Zwirn gekleidete Heren, verzogene Schrazen hintendrein. Das durch Geld erworbene Selbstbewusstsein zeigt sich auch deutlich im Umgang mit Personal in Geschäften - oder ist der Kunde in Russland so freundlich wie der Verkäufer?

Moskau ist eine hochinteressant Stadt, wesentlich interessanter als das in ähnlicher Dimension bestehende Tokio. Die Architektur, die Geschichte, die Lücke zwischen Reichtum und Armut. Der Rauch hat mir leider einen Strich durch so manchen Plan gemacht. Die letzten Stunden in Moskau verbrachte ich in einem Cafe am Jaroslawler Bahnhof bei Schwarztee, Borschtsch und angenehmen 30 Grad plus x. Der Wind hatte den Rauch am 11. August wieder weitgehend vertrieben, so dass es zumindest noch für einen Besuch im Kreml gereicht hat.

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